Der Nobelpreis für Literatur 1996 – Pressemitteilung

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Die Schwedische Akademie
Der Ständige Sekretär

Pressemitteilung
3. Oktober 1996

Der Nobelpreis für Literatur 1996

Wislawa Szymborska

“für eine Poesie, die mit ironischer Präzision den historischen und biologischen Zusammenhang in Fragmenten menschlicher Wirklichkeit hervortreten läßt”

Die polnische Poetin und Kritikerin Wislawa Szymborska ist 73 Jahre alt und wohnt in Krakau.

Seit 1957 – als die Zensur nach dem Tauwetter im Jahr zuvor ihre feste Hand lockern mußte – hat sie eine einziffrige Anzahl schmaler, aber gewichtiger Gedichtsammlungen, ein paar Bände Buchbesprechungen und eine Reihe sehr gut aufgenommener Übersetzungen älterer französischer Poesie veröffentlicht. Von ihrer ersten Sammlung, mit der sie 1952 debütierte, und der darauf folgenden von 1954 – beide waren sozialrealistische Anpassungsversuche – hat sie sich distanziert.

Typisch für ihre Art, ihre Haltung elegant zu formulieren, ist das Ende des Gedichtes “Die Freude am Schreiben”:

Freude am Schreiben.
Möglichkeit des Erhaltens.
Rache von sterblicher Hand.

Szymborska revanchiert sich durch eine Poesie ganz im Sinn der Motivierung des Preises: “Es gibt kein Leben, das nicht, / und sei es nur für einen Augenblick, / Unsterblichkeit genießt”. Diese Zeilen stammen aus dem Gedicht “Über den Tod, ohne Übertreibung”.

Durch die stilistische Vielfalt ihrer Poesie ist diese äußerst schwer zu übersetzen, aber dennoch liegen mehrere Bände in anderen Sprachen vor, wodurch der überwiegende Teil ihrer Dichtung einem größeren Publikum zugänglich ist. Einen ausgezeichneten Überblick vermittelt die Auswahl von 100 Gedichten in englischer Übersetzung, die Stanislaw Baranczak und Clare Cavanagh unter dem Titel “View with a grain of sand” (1995) veröffentlicht haben. Sie erstreckt sich von “Calling out to Yeti” (1957) bis “The end and the beginning” (1993). Der abscheuliche Schneemann Yeti in der ersten Sammlung ruft starke Assoziationen an Stalin hervor, dessen Ismus Szymborska völlig desillusioniert hat. In der letztgenannten Sammlung stellt das lyrische Ich sich mit den Worten vor: “My identifying features / are rapture and despair” [“Mich kennzeichnen / Begeisterung und Verzweiflung”].

Mit ihrer engagierten Entspanntheit stellt sie ihre Idee unter Beweis, daß keine anderen Fragen ein solches Gewicht haben wie die naiven. Aus dieser Position präsentiert sie, in jeder Hinsicht ständig beweglich, ihre poetischen Erwägungen in einer erlesenen Form, aber paradoxerweise auch mit einem breiten Register. In ihrer Anrede gibt es eine auffallende Kombination von Spiritualität, Erfindungsreichtum und Mitgefühl, die die Gedanken sowohl auf Aufklärung wie auf Barock hinlenkt. Die Zivilisationskritik Szymborskas findet ihren Ausdruck oft in stiller, aber gerade dadurch vernichtender Ironie: “Ein selbstkritisches Schakal existiert nicht”. Ihre Muse ist auf diese Weise im besten Sinn des Wortes subversiv.

Selbst die Übersetzungen lassen ihre technische Meisterschaft, auch was gereimte Versformen betrifft, ahnen. Ihre Diktion ist gleichermaßen ausgemeißelt und anspruchslos. Was dahinter liegt, wird in dem Gedicht “Unter einem kleinen Stern” formuliert: “Tadle mich nicht, Sprache, daß ich schwere Worte leihe / und mit ihnen so arbeite, daß sie leicht erscheinen”. Man hat sie Mozart der Poesie genannt, und das hat seine Berechtigung, wenn man an den Reichtum ihrer Eingebung und gerade auch an die Leichtigkeit denkt, mit der die Worte auf ihren Platz zu fallen scheinen. Aber wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, findet sich auch etwas von der Furie Beethovens in ihrem Schaffen.

Translations vouchsafe us glimpses of her mastery of technique, even in rhymed verse. Her diction is finely chiselled and at the same time free of mannerism. What lies behind this is spelt out in the poem “Under One Small Star”: “Don’t bear me ill will, speech, that I borrow weighty words, / then labour heavily so that they may seem light.” She has been described as the Mozart of poetry, not without justice in view of her wealth of inspiration and the veritable ease with which her words seem to fall into place. But, as can be seen from the quotation, there is also something of the fury of Beethoven in her creative work.

Anders Bodegård hat eine Auswahl ihrer Gedichte ins schwedische übersetzt und sie unter dem Titel “Utopia” (1989) veröffentlicht. Das Buch ist ein guter Beitrag zum Bild ihres schriftstellerischen Werks. Die Schlußzeilen des Gedichtes “Möglichkeiten” zeigen noch einen ihrer Ausgangspunkte an: “Am liebsten beachte ich tatsächlich die Möglichkeit / daß das Dasein seine Berechtigung hat”.

Bereits früher haben Per Arne Bodin und Roger Fjellström eine Auswahl ihrer Gedichte, “Aldrig två gånger” [Niemals zwei Mal] (1980), übersetzt. Das abschließende Antibild in der letzten Strophe des Titelgedichts beleuchtet blitzartig Szymborskas Kunst:

Lächelnd, zur Hälfte einander umarmend,
versuchen wir, die Harmonie ausfindig zu machen
obwohl wir einander so unähnlich sind
wie zwei Tropfen klaren Wassers.

To cite this section
MLA style: Der Nobelpreis für Literatur 1996 – Pressemitteilung. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Wed. 26 Jun 2024. <https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1996/8387-wislawa-szymborska-1996-2/>

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