Thomas Mann – Banquet speech

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German

Thomas Mann’s speech at the Nobel Banquet at Grand Hôtel, Stockholm, December 10, 1929

(in German)

Der Augenblick zu danken ist nun auch für mich gekommen, ein er sehnter Augenblick, ich brauche es nicht zu sagen. Und nun, wo er da ist, wo es gilt, nun steht zu fürchten, dass das Wort sich dem Gefühle versagt, wie es bei geborenen Nichtrednern zu gehen pflegt. Zu den geborenen Nichtrednern zähle ich die Schriftsteller überhaupt: es bestehen tiefe Unterschiede, ja Gegensätze zwischen den Produktions- und Wirkungsarten des Redners und des Schriftstellers, und namentlich wird das Improvisatorische, das literarische Ungefähr alles Redens, das Prinzip künstlerischer Aussparung, das Vieles, ja Entscheidendes der nachhelfenden Persönlichkeitswirkung zur Ergänzung offen lässt, den Instinkten der entschiedenen Schriftstellerpersönlichkeit zuwider sein. In meinem Falle aber kommen temporäre Unzuträglichkeiten hinzu, die meinem Zur-Not-Rednertum wenig Hoffnung lassen, sich zu bewähren: Die Umstände, in die Sie selbst, meine Herren von der Schwedischen Akademie, mich versetzt haben, turbulente Umstände, herrlich verwirrende und umstürzend lebensfestliche Umstände. Wirklich, ich habe mir keine Vorstellung gemacht von der Donnergewalt der Ehrung, die Sie in Händen halten und zu vergeben haben. Ich bin eine epische, keine dramatische Natur. Das ruhige Fortspinnen meines Fadens, das Gleich mass in Leben und Kunst ist es im Grunde, was meinen Wünschen und Anlagen entspricht. Kein Wunder, dass der dramatische Lebens-Knalleffekt, der da von Norden her in dies Gleichmass hineinschmetterte, meine rednerische Fertigkeit noch über das gewohnte Mass einschränkt. Seit der im Schoss der Schwedischen Akademie gefasste Beschluss in die Welt ging, lebe ich in einem immerwährenden Festtrubel, einem bezaubernden Drüber und Drunter, dessen seelische und geistige Folgen ich am besten kennzeichne, indem ich an ein seltsam schönes Liebesgedicht von Goethe erinnere. Es ist an Kupido selbst gerichtet, und ich meine die Zeile: »Du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben». So hat der Nobelpreis mir mein episches Hausgerät dramatisch verstellt und verschoben, – und, nicht wahr, ich trete der mir verliehenen Ehrung nicht zu nahe, wenn ich ihre Wirkungen denen der Liebesleidenschaft in einem geordneten Menschenleben vergleiche.

Dennoch, wie schwer ist es für einen Künstler, solchen Ehrungen, wie sie jetzt auf mich niederrauschen, mit guter Miene Stand zu halten! Gibt es ein anständiges, selbstkritisches Künstlertum, das ein gutes Gewissen dabei hätte? Nur der überpersönliche, überindividuelle Gesichtspunkt kann da helfen. Vom Individuellen loszukommen, ist immer Wohltat, besonders in solchem Fall. Von Goethe stammt das stolze Wort: »Nur die Lumpe sind bescheiden». Das ist das Wort eines sehr grossen Herrn, der damit eine gewisse Heuchler- und Duckmäusermoral von sich abwehren wollte. Aber, meine Damen und Herren, das Wort hat nicht unbedingte Gültigkeit.

Bescheidenheit hat auch etwas mit Gescheitheit, mit Intelligenz zu tun; und der, meine ich, müsste ein rechter Dummkopf sein, der sich aus Ehrungen, wie der mir zugefallenen, eine Quelle des Eigendünkels und der Aufgeblasenheit machen wollte. Ich tue wohl daran, den Weltpreis, der mehr oder weniger zufällig auf meinen Namen lautet, meinem Lande und Volke zu Füssen zu legen, diesem Lande und Volk, mit dem meinesgleichen sich heute nur fester noch verbunden fühlt, als zur Zeit seiner klirrendsten Machtentfaltung. Dem deutschen Geist, der deutschen Prosa insbesondere, gilt dieses Jahr der Stockholmer Weltpreis, nach langen Jahren wieder einmal, und Sie machen sich schwer eine Vorstellung von der sensitiven Empfänglichkeit dieses verwundeten und vielfach unverstandenen Volkes für solche Zeichen der Weltsympathie.

Darf ich mir anmassen, den Sinn dieser Sympathie etwas näher zu deuten: Was in Deutschland in den letzten anderthalb Jahrzehnten geistig, künstlerisch geleistet wurde, ist nicht im Schutz günstiger Umstände, nicht unter gesicherten seelischen und materiellen Verhältnissen geleistet worden; kein Werk konnte in Sicherheit und Behagen sich runden und reifen, sondern die Bedingungen der Kunst und des Geistes waren diejenigen schärfster allgemeiner Problematik, waren Bedingungen der Not, der Aufgewühltheit und des Leidens, eines fast östlichen, fast russischen Leidenswirrsals, in welchem der deutsche Geist das westliche, das europäische Prinzip gewahrt hat, die Ehre der Form. Denn, nicht wahr, Form, das ist eine europäische Ehrensache! – Ich bin kein Katholik, meine Herren und Damen, meine Überlieferung ist, wie wahrscheinlich die Ihrer aller, die protestantische Gottesunmittelbarkeit. Dennoch habe ich einen Lieblingsheiligen. Ich will Ihnen seinen Namen nennen, es ist der Heilige Sebastian – Sie wissen, jener Jüngling am Pfahl, den Schwerter und Pfeile von allen Seiten durchdringen, und der in Qualen lächelt. Anmut in der Qual – dies Heldentum ist es, das Sankt Sebastian symbolisiert. Das Bild mag kühn sein, aber ich bin versucht, dies Heldentum für den deutschen Geist, die deutsche Kunst in Anspruch zu nehmen und zu vermuten, dass die der literarischen Leistung Deutschlands zugefallene Weltehrung diesem sublimen Heldentum gilt. Deutschland hat durch seine Dichtung Anmut bewiesen in der Qual. Es hat die Ehre gewahrt: politisch, indem es nicht in Schmerzensanarchie zerfiel, indem es das Reich bewahrte; und geistig, indem es das östliche Prinzip des Leidens zu einen vermochte mit dem westlichen Prinzip der Form, indem es in Leiden Schönes hervorbrachte.

Und nun lassen Sie mich zum Schluss noch einmal persönlich sprechen. Schon den ersten Unterrednern, die mich nach gefallener Entscheidung aufsuchten, habe ich ausgesprochen, wie sehr es mich rührt und mir genugtut, dass diese Auszeichnung mir gerade aus Norden kam, aus dieser skandinavischen Sphäre, mit der mich als Lübecker Kind von jung auf so viel Übereinstimmung der Lebensform, als Schriftsteller so viel literarische Sympathie und Bewunderung für nordischen Geist und Tonfall verbindet. Als junger Mensch habe ich eine Erzählung geschrieben, die immernoch jungen Menschen wohlgefällt, den Tonio Kroger. Sie handelt vom Süden und vom Norden und von der Mischung beider in einer Person: einer konfliktvollen und produktiven Mischung. Der Süden, das ist in dieser Geschichte der Inbegriff alles geistig-sinnlichen Abenteuers, der kalten Leidenschaft des Künstlertums; der Norden dagegen der Inbegriff aller Herzlichkeit und bürgerlichen Heimat, alles tief ruhenden Gefühls, aller innigen Menschlichkeit. Und nun umfängt und empfängt sie mich denn als strahlendes Fest, diese Herzensheimat des Nordens. Das ist ein schöner, sinnvoller Tag in meinem Leben, ein rechtes Lebensfest, ein »högtidsdag», wie die schwedische Sprache ausdrucksvoll das Fest überhaupt nennt. An dieses, der schwedischen Sprache mit Unbeholfenheit entliehene Wort lassen Sie mich die Bitte knüpfen, zu der ich schliesslich komme. Vereinigen wir uns, meine Damen und Herren, in Dank und Glückwünschen für die segen­ volle und weltbedeutende Stiftung, der wir diesen herrlichen Abend verdanken. Nach gut schwedischer Sitte wollen Sie mit mir einstimmen in ein vierfaches Hurra auf die Nobelstiftung. Die Nobelstiftung Hurra, hurra, hurra, hurra!

From Les Prix Nobel en 1929, Editor Carl Gustaf Santesson, [Nobel Foundation], Stockholm, 1930

Copyright © The Nobel Foundation 1929

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MLA style: Thomas Mann – Banquet speech. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Wed. 17 Jul 2024. <https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1929/mann/25810-banquet-speech-german/>

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