Biobibliographische Notiz

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Biobibliographische Notiz

Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag, Steiermark geboren. Ihr Vater war tschechisch-jüdischer Herkunft und überlebte den Holocaust da er als Chemiker mit kriegswichtigen Forschungsaufgaben betraut war. Die Mutter stammte aus einer wohlhabenden Familie in Wien, wo Elfriede Jelinek aufwuchs und zur Schule ging. Sie erhielt frühzeitig Musikunterricht (Klavier, Orgel, Blockflöte) und studierte am Wiener Konservatorium auch Kompositionslehre. Nach ihrer Matura am Albertsgymnasium im Jahre 1964 studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien, während sie gleichzeitig Musikstudien fortsetzte. 1971 legte sie ihr Examen als Organistin am Konservatorium ab.

Schon früh begann Elfriede Jelinek, Lyrik zu schreiben. Sie debutierte 1967 mit der Gedichtsammlung Lisas Schatten. Nachdem sie mit der Studentenbewegung in Verbindung gekommen war, schlug ihr Schreiben eine gesellschaftskritische Richtung ein. 1970 entstand der satirische Roman wir sind lockvögel baby!. Er trägt ähnlich wie der folgende Roman Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972) den Charakter einer sprachlichen Widerstandshandlung, die gegen die Unterhaltungskultur und ihre verlogenen Vorstellungen von einem guten Leben gerichtet ist.

Nach einigen Jahren in Berlin und Rom anfangs der frühen Siebziger heiratete Jelinek 1974 Gottfried Hüngsberg und lebte danach abwechselnd in Wien und München. Das deutschsprachige literarisch interessierte Publikum eroberte sie mit den Romanen Die Liebhaberinnen (1974), Die Ausgesperrten (1980) und dem vor autobiographischem Hintergrund verfaßten Die Klavierspielerin (1983), der 2001 von Michael Haneke zu einem stark beachteten Film umgestaltet wurde. Diese Romane stellen im Rahmen ihrer Problematik jeder für sich eine Welt ohne Gnade dar, in der der Leser mit einer festgefahrenen Ordnung von Gewalt und Unterwerfung, Jäger und Beute konfrontiert wird. Jelinek zeigt, wie die Klischees der Unterhaltungsindustrie ihren Einzug in das Bewußtsein der Menschen halten und ihren Widerstand gegen klassenbedingte Ungerechtigkeit und geschlechtliche Unterdrückung lähmen. In Lust (1989) überführt Jelinek ihre Gesellschaftsanalyse in grundlegende Zivilisationskritik, wenn sie die sexuelle Gewalt gegen Frauen als Grundmuster unserer Kultur beschreibt. Diese Linie findet in einem scheinbar aufgelockerten Ton in Gier. Ein Unterhaltungsroman (2000), einer Studie über kaltblütige männliche Machtausübung, ihre Fortsetzung. Jelinek hat mit leidenschaftlicher Wut Österreich gegeisselt, das sie in dem phantasmagorischen Roman Die Kinder der Toten (1995) als Totenreich darstellt. In ihrer Heimat ist sie sehr kontroversiell. Zu den Voraussetzungen ihres schriftstellerischen Schaffens gehört eine lange österreichische Tradition sprachlich weit fortgeschrittener Gesellschaftskritik mit Vorgängern wie Johann Nepomuk Nestroy, Karl Kraus, Ödön von Horváth, Elias Canetti, Thomas Bernhard und der Wiener Gruppe.

Das Genre der Texte Jelineks ist oft schwer zu bestimmen. Sie schweben zwischen Prosa und Poesie, Beschwörung und Hymne, sie enthalten Theaterszenen und filmische Sequenzen. Der Schwerpunkt ihrer schriftstellerischen Tätigkeit hat sich indessen von der Romankunst zur Dramatik verlagert. Ihr erstes Hörspiel wenn die sonne sinkt ist für manche schon büroschluß wurde 1974 sehr positiv aufgenommen. Seither hat sie eine große Anzahl Texte für Radio und Theater geschrieben, in denen sie nach und nach den klassischen Dialog zugunsten einer Art mehrstimmiger Monologe aufgegeben hat, die nicht dazu dienen, Rollen abzugrenzen, sondern dazu, die Stimmen auf verschiedenen Ebenen der Psyche und der Geschichte sich gleichzeitig vernehmen zu lassen. Was sie in den Stücken der letzten Jahre auf die Bühne stellt – Totenauberg, Raststätte,Wolken. Heim, Ein Sportstück, In den Alpen, Das Werk und anderen – sind keine Charaktere, sondern „Sprachflächen“, die einander konfrontieren. Das bisher letzte publizierte dramatische Werk Jelineks, die sogenannten „Prinzessinnen-Dramen“ (Der Tod und das Mädchen I–V, 2003), variiert ein Grundthema der schriftstellerischen Tätigkeit, das Unvermögen der Frau voll und ganz in einer Welt zum Leben zu gelangen, in der sie von stereotypen Bildern verdeckt wird.

Jelinek ist auch als Übersetzerin tätig gewesen (Thomas Pynchon, Georges Feydeau, Eugène Labiche, Christopher Marlowe) und hat Film-Drehbücher und ein Opernlibretto verfaßt. Gleichzeitig mit ihrer belletristischen Tätigkeit hat sie sich als unerschrockene Gesellschaftskritikerin einen Namen gemacht, die auf ihrer Homepage ständig bereit ist, brennendheiße Themen zu kommentieren.

Literaturpreise und Auszeichnungen: Lyrik- und Prosapreis der österreichischen Jugendkulturwoche (1969), Lyrikpreis der österreichischen Hochschulschülerschaft (1969), Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1972), Roswitha-Gedenkmedaille der Stadt Bad Gandersheim (1978), Drehbuchpreis des Innenministeriums der BRD (1979), Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst (1983), Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln (1986), Literaturpreis des Landes Steiermark (1987), Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur (1989), Walter-Hasenclever-Preis der Stadt Aachen (1994), Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum (1994), Bremer Literaturpreis (1996), Georg-Büchner-Preis (1998), Theaterpreis Berlin (2002), Heinrich-Heine-Preis, Düsseldorf (2002), Mülheimer Dramatikerpreis (2002, 2004), Else-Lasker-Schüler-Preis (für ihr dramatisches Gesamtwerk), Mainz (2003), Lessing-Preis für Kritik, Wolfenbüttel (2004) , Stig Dagerman-Preis, Älvkarleby (2004), Hörspielpreis der Kriegsblinden, Berlin (2004).

Werke auf deutsch
Lisas Schatten : [Gedichte]. – München : Relief-Verlag Eilers, 1967. – (Der Viergroschenbogen; 76)
wir sind lockvögel baby! : [Roman]. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1970
Michael : ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1972
Die Liebhaberinnen : [Roman]. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1975
bukolit : hörroman. – Wien : Rhombus-Verlag, 1979
Die Ausgesperrten : [Roman]. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1980
ende : gedichte von 1966 – 1968. – Schwifting : Schwiftinger Galerie-Verlag, 1980
Die endlose Unschuldigkeit : Prosa, Hörspiel, Essay. – Schwifting : Schwiftinger Galerie-Verlag, 1980
Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. – Wien : Sessler, 1980
Die Klavierspielerin : Roman. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1983
Theaterstücke / hrsg. und mit ein Nachwort von Ute Nyssen. – Köln : Prometh-Verlag, 1984
Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr : Prosa. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1985
Krankheit oder moderne Frauen. – Köln : Prometh-Verlag, 1987
Lust : [Roman]. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1989
Wolken. Heim. – Göttingen : Steidl, 1990
Isabelle Huppert in Malina : ein Filmbuch / nach dem Roman von Ingeborg Bachmann. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1991
Totenauberg : ein Stück. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1991
Theaterstücke / hrsg. von Ute Nyssen, Regine Friedrich. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1992
Die Kinder der Toten : Roman. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1995
Sturm und Zwang : Schreiben als Geschlechterkampf / Elfriede Jelinek, Jutta Heinrich, Adolf-Ernst Meyer. – Hamburg : Klein, 1995
Stecken, Stab und Stangl : Raststätte [und andere] neue Theaterstücke. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1997
Ein Sportstück. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1998
er nicht als er : (zu, mit Robert Walser) : ein Stück. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1998
Macht nichts : eine kleine Trilogie des Todes. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 1999
Gier : ein Unterhaltungsroman. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 2000
Das Lebewohl : 3 kl. Dramen. – Berlin : Berlin-Verlag, 2000
In den Alpen : drei Dramen. – Berlin : Berlin-Verlag, 2002
Der Tod und das Mädchen I-V : Prinzessinnendramen. – Berlin : Berliner Taschenbuch-Verlag, 2003
Bambiland ; Babel : zwei Theatertexte. – Reinbek bei Hamburg : Rowolht, 2004*
Werke auf englisch
The Piano Teacher : a Novel / translated from the German by Joachim Neugroschel. – New York : Weidenfeld & Nicolson, 1988. – Translation of Die Klavierspielerin
Wonderful, Wonderful Times : [novel] / translated by Michael Hulse. – London : Serpent’s Tail, 1990. – Translation of Die Ausgesperrten
Lust : [novel] / translated by Michael Hulse. – London : Serpent’s Tail, 1992. – Translation of Lust
Women as Lovers : [novel] / translated by Martin Chalmers. – London : Serpent’s Tail, 1994. – Translation of Die Liebhaberinnen
Werke auf französisch
La pianiste : [roman] / traduit de l’allemand par Y. Hoffmann et M. Litaize. – Nîmes : J. Chambon, 1988. – Traduction de: Die Klavierspielerin
Les exclus : [roman] / traduit de l’allemand par Y. Hoffmann et M. Litaize. – Nîmes : J. Chambon, 1989. – Traduction de: Die Ausgesperrten
Lust : [roman] / traduit de l’allemand par Yasmin Hoffmann et Maryvonne Litaize ; suivi d’un entretien avec Elfriede Jelinek. – Nîmes : J. Chambon, 1991. – Traduction de: Lust
Les amantes : [roman] / traduit de l’allemand par Yasmin Hoffmann et Maryvonne Litaize. – Nîmes : J. Chambon, 1992. – Traduction de: Die Liebhaberinnen
Ce qui arriva quand Nora quitta son mari / traduit de l’allemand par Louis-Charles Sirjacq. – Paris : l’Arche, 1993. – Traduction de: Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften
Méfions-nous de la nature sauvage : [prose] / traduit de l’allemand par Yasmin Hoffmann et Maryvonne Litaize. – Nîmes : J. Chambon, 1995. – Traduction de: Oh, Wildnis, Oh, Schutz vor ihr
Désir & permis de conduire : recueil / [traduit de l’allemand par Yasmin Hoffmann, Maryvonne Litaize et Louis-Charles Sirjacq]. – Paris : l’Arche, 1999
Maladie ou Femmes modernes: comme une pièce / traduit de l’allemand par Patrick Démerin et Dieter Hornig. – Paris : l’Arche, 2001. – Traduction de: Krankheit oder Moderne Frauen
Avidité : roman / traduit de l’allemand par Claire de Oliveira. – Paris : Seuil, 2003. – Traduction de: Gier
Werke auf schwedisch
Pianolärarinnan : [roman] / översättning: Margaretha Holmqvist. – Stockholm : Trevi, 1986. – Originaltitel: Die Klavierspielerin
Lust : [roman] / översättning: Margaretha Holmqvist. – Stockholm : Trevi, 1990. – Originaltitel: Lust
De utestängda : [roman] / översättning: Eva Liljegren. – Stockholm : Trevi, 1992. – Originaltitel: Die Ausgesperrten
Glupsk : en underhållningsroman / översättning: Aimée Delblanc. – Stockholm : Forum, 2005. – Originaltitel. Gier*
Literatur
Elfriede Jelinek : Framed by Language / edited by Jorun B. Johns and Katherine Arens. – Riverside, Calif. : Ariadne Press, 1994
Fiddler, Allyson, Rewriting Reality : an Introduction to Elfriede Jelinek. – Oxford : Berg, 1994
Janz, Marlies, Elfriede Jelinek. – Stuttgart : Metzler, 1995
Szczepaniak, Monika, Dekonstruktion des Mythos in ausgewählten Prosawerken von Elfriede Jelinek. – Frankfurt am Main : Lang, 1998
Vis, Veronika, Darstellung und Manifestation von Weiblichkeit in der Prosa Elfriede Jelineks. – Frankfurt am Main : Lang, 1998
Strobel, Heidi, Gewalt von Jugendlichen als Symptom gesellschaftlicher Krisen : literarische Gewaltdarstellungen in Elfriede Jelineks “Die Ausgesperrten” und in ausgewählten Jugendromanen der neunziger Jahre. – Frankfurt am Main : Lang, 1998
Hoffmann, Yasmin, Elfriede Jelinek : Sprach- und Kulturkritik im Erzählwerk. – Opladen : Westdeutscher Verlag, 1999
Die Nestbeschmutzerin : Jelinek & Österreich / Pia Janke (Hrsg.). – Salzburg ; Wien : Jung und Jung, cop. 2002
Heberger, Alexandra, Der Mythos Mann in ausgewählten Prosawerken von Elfriede Jelinek. – Osnabrück : Der Andere Verlag, 2002
Janke, Pia, Werkverzeichnis Elfriede Jelinek. – Wien : Edition Praesens, 2004*
Johanning, Antje, KörperStücke : der Körper als Medium in den Theaterstücken Elfriede Jelineks. – Dresden : Thelem, 2004*

Die Schwedische Akademie


* Updated in 2005.

To cite this section
MLA style: Biobibliographische Notiz. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Sun. 22 Dec 2024. <https://www.nobelprize.org/prizes/literature/2004/7957-biobibliographische-notiz-german/>

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