Tadeus Reichstein

Banquet speech

Tadeus Reichstein’s speech at the Nobel Banquet in Stockholm, December 10, 1950 (in German)

Hochansehnliche Versammlung,

Wir sind hier alle mit Ehrungen und Freundschaftszeichen derart überschüttet worden, dass es fast unmöglich ist, den aufsteigenden Gefühlen passenden Ausdruck zu geben. Der Wissenschaftler liebt es im allgemeinen zwar mehr, im Stillen arbeiten zu können und scheut das Rampenlicht allzugrosser Publizität. Trotzdem braucht auch er gelegentlich eine Bestätigung von aussen, als Ansporn und als Zeichen der Verbundenheit mit seinen Mitmenschen. Wenn dies aber von so hoher Warte geschieht und unter solchen Begleitumständen, so kann man dies nur als Geschenk annehmen, für das sich ein passender Dank nicht finden lässt, ebenso wie für gewisse andere gütige Schicksalsfügungen. Lassen Sie mich zwei Beispiele dafür angeben, warum ich solche Ereignisse als Geschenke empfinde und keineswegs als persönliches Verdienst.

Als ich knapp 8 Jahre alt war, haben meine Eltern das Land meiner Geburt verlassen und sich in der Schweiz niedergelassen, die mir selber zur Heimat wurde. Ich fand dort Entwicklungs- und Arbeitsmöglichkeit und lernte die Bedeutung nüchterner solider Arbeit kennen, aber auch den Geist der Humanität und des sozialen Ausgleichs. Dass ich in der Schweiz aufwachsen, leben und arbeiten durfte war das erste der unverdienten Geschenke. Spätere entscheidende Wendungen in meinem Leben waren oft durch besondere Begegnungen mit Menschen bedingt. Bis unmittelbar vor Beginn des Studiums wollte ich immer Ingenieur werden. Zum Chemiestudium wurde ich erst im letzten Moment durch einen Freund veranlasst. Das einzige das für mich damals scheinbar sicher stand war, dass ich nie Hochschullehrer werden wollte. Die Veranlassung, diesem Entschluss untreu zu werden, war die Begegnung mit einem Forscher, der eigentlich heute auch hier anwesend sein sollte; es ist Leopold Ruzicka. Der es zwar nicht wahr haben will, dass ich sein Schüler war, der mir aber, als er noch ein junger Privatdozent war, in einem Kellerlaboratorium, in dem er damals arbeitete, während der Weihnachtsferien das erste Mal gezeigt hat, was eigentlich Forschungsarbeit ist, und der mir später, als er Professor war, stark zuredete, es doch einmal zu versuchen. So habe ich mit viel Überwindung den ersten Schritt zur akademischen Tätigkeit getan und habe ihn später auch nicht bereut.

Im Laufe der Arbeiten, die ein organischer Chemiker sich aussuchen kann und die er aus Freude an der Sache betreibt, wählte ich unter anderem auch die Untersuchung der Nebennieren-Rinden-Hormone, die meine Mitarbeiter und ich so gut oder so schlecht untersuchten, wie man das mit den kleinen Stoffmengen, die wir hatten, damals tun konnte. Dass mir für diese Arbeit zusammen mit Hench und Kendall heute der Nobelpreis für Physiologie und Medizin zuerteilt wird, habe ich lediglich dem Zufall zu verdanken, dass meine verehrten amerikanischen Kollegen für einige Vertreter dieser Stoffgruppe ganz neuartige physiologische Wirkungen und medizinische Anwendungen gefunden haben. Selbstverständlich hat es mich riesig gefreut, wenn sich unsere chemischen Arbeiten für die Medizin als nützlich erwiesen haben, aber mein Verdienst war es nicht. Sie Werden verstehen, dass ich das Gefühl habe, vom Schicksal und von Ihnen heute ganz ungeheuer verwöhnt zu sein.

Soviel ich vermute ist es schon von anderen früher ausgesprochen worden, dass die Verleihung der Nobelpreise nicht nur für die damit Bedachten, sondern vor allem auch für das Land Schweden selbst die höchste Ehrung darstellt und von uns allen und vielen anderen Menschen in fernen Ländern als solche empfunden wird.

Schweden kann mit Recht auf seinen Sohn Alfred Nobel stolz sein. Er hat durch seine Stiftung nicht nur sich selbst, sondern seinem Land ein lebendes Denkmal gesetzt, das sicher eines der schönsten Dokumente europäischen Geistes und ein echtes Kind seines Zeitalters darstellt. Dieses Denkmal ist nicht unvergänglich wie Stein oder Erz, es kann nur so lange dauern wie der Geist lebt, der es hervorbrachte. Lassen Sie mich der Hoffnung und der Überzeugung Ausdruck geben, dass der Optimismus Ihres grossen Sohnes zu recht bestand, dass die Welt der Ideen, wie sie sich unter anderem in Kunst und Wissenschaft manifestiert, unzerstörbar ist und dass sie verknüpft ist mit der schöpferischen Kraft, die nur das freie Individuum aus dem Urgrund der Dinge ans Licht des Tages zu fördern vermag.

Ich möchte meinem Dank daher zum Schluss den Wunsch beifügen, es möge der schwedischen Dynastie und dem schwedischen Volke vergönnt sein, die unsterblichen Kulturgüter, die Nobel vorschwebten: Freiheit der Kunst und Freiheit der Wissenschaft für das freie Individuum, aus der heutigen schweren Zeit, die für diese Dinge nicht überaus freundlich gesinnt ist, in eine Ungewisse Zukunft hinüber zu retten.


Prior to the speech, Robin Fåhraeus, member of the Royal Academy of Sciences, addressed the laureate: “Doctor Philip Hench, Professor Edward Kendall and Professor Tadeus Reichstein. Together your researches have contributed to the enlightenment of the extremely complicated physiological chemistry of the suprarenal glands which since their discovery for a long time have been assumed to play no other part than to fill up the vacuum between the kidneys and the diaphragm. Your contributions have already fulfilled the hopes of therapeutic successes in a field hitherto almost inaccessible.”

From Les Prix Nobel en 1950, Editor Arne Holmberg, [Nobel Foundation], Stockholm, 1951

Copyright © The Nobel Foundation 1950

To cite this section
MLA style: Tadeus Reichstein – Banquet speech. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Tue. 3 Dec 2024. <https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/1950/reichstein/speech/>

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