Wilhelm Wien

Banquet speech

Wilhelm Wien’s speech at the Nobel Banquet in Stockholm, December 10, 1911 (in German)

Königliche Hoheiten, meine verehrten Damen und Herren! Für uns, die wir den Nobel-Preis erhalten haben, wird das erste Gefühl ein tiefer Dank sein, aber wir werden auch Veranlassung haben, unsere eigne Stellung zu den Arbeiten, die mit dem Preise gekrönt sind, zu untersuchen. Wir werden nicht ganz mit dem günstigen Urteil der schwedischen Akademie übereinstimmen, denn in der Wissenschaft tritt noch mehr als anderswo das grosse Missverhältnis zwischen dem, was man gewollt, und dem, was man vollbracht hat, hervor. Jeder, der auf seine wissenschaftlichen Leistungen zurückblickt, wird das was noch zu leisten ist, und das was nicht gelungen ist, so überwiegend im Vergleich mit dem finden, was er ausführen konnte, dass er sich sagen wird, was Du getan hast war doch recht wenig. Aber es kommt noch ein anderes hinzu. Die Wissenschaft ist ein Organismus, der sich nach seinen innern Gesetzen entwickeln muss. Ich möchte sie mit einem Baum vergleichen, der eine grosse Krone bekommen hat und weiter wächst, der sich aber nur die Stoffe zu assimilieren vermag, die er für seine Entwicklung brauchen kann. Und so kann auch die Wissenschaft nur die Ideen in sich aufnehmen, die ihrer Entwicklung gemäss sind. Alles andere wird ausgeschieden und versinkt im Meere der Vergessenheit.

So habe ich meine eigene Arbeiten nur so lange auf einem Gebiet getrieben, als ich Wege sah, die zu einer natürlichen Weiterentwicklung führten. Wenn es meiner Begabung nicht entsprach, solche zu finden habe ich nur mehr als Zuschauer beobachtet, wie die Arbeit durch andere fortgeführt wurde und mich gefreut, wenn es gelang weiterzukommen. Für mich selbst habe ich dann ein anderes Arbeitsgebiet gesucht.

Bei der Auszeichnung durch die Nobelpreise stimmt aber noch ein anderes zum Nachdenken. Nicht immer sind die wissenschaftlichen Bestrebungen so anerkannt worden, und es liegt die Zeit noch nicht weit zurück, wo bedeutende Leistungen vergeblich auf Anerkennung warteten. Heute ist der Baum der Wissenschaft gross geworden, er trägt schöne Früchte und ist weithin sichtbar. So wird er mehr beachtet als früher. Aber es ist doch keineswegs so, dass überall die Wissenschaft so geehrt wird wie hier bei der Nobelfeier. Dieses Fest und die allgemeine Teilnahme sind ein Beweis für den weit vorgeschrittenen Idealismus des schwedischen Volkes. Hoffen wir, dass die ändern Völker folgen werden.

Die Verteilung, der Nobelpreise legt eine schwere Verantwortung auf die Schultern der schwedischen Männer der Wissenschaft. Sie haben eine grosse Arbeit zu leisten; aber eine schöne und beneidenswerte Arbeit. Einen grossen Einfluss auf die Wissenschaft können sie ausüben, auf die Jüngern Männer der Wissenschaft, indem sie sie anspornen, Arbeiten zu schaffen, die gekrönt werden können. Und es wird immer ein Anreiz sein, wenn man etwas schaffen kann, das als nützlich anerkannt wird. Aber auch die Männer, welche den Vorzug schon erreicht haben, mit dem Nobelpreis gekrönt zu werden, werden beeinflusst, indem sie veranlasst werden, ihren Dank abzustatten. Und diesen Dank kann ich mir nur in einer Weise vorstellen, nämlich dadurch, dass man seine ganzen Kräfte zur Förderung seiner Wissenschaft weiter einsetzt. So wird die schwedische Akademie in eigenartigem und immer zunehmendem Masse den Wert wissenschaftlicher Arbeit einzuschätzen und die Wissenschaft selbst dadurch zu fördern haben. Ich fordere sie auf, auf die schwedische Akademie der Wissenschaften anzustossen.

From Les Prix Nobel en 1911, Editor Carl Gustaf Santesson, [Nobel Foundation], Stockholm, 1912

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MLA style: Wilhelm Wien – Banquet speech. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Wed. 30 Oct 2024. <https://www.nobelprize.org/prizes/physics/1911/wien/speech/>

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